Wappen der 'verbürgerlichten' Wizlawiden
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7. Kapitel

Wislaw und Witzlaw
– eine märchenhafte Rügener Geschichte –

aufgeschrieben 1474 vom Ritter Satko zu Saatel, übersetzt ins Neuhochdeutsche von Jens Ruge aus Hamburg ;-)

Kapitelübersicht:
1 Der freche Greif oder Ohne Witzlaw wäre alles sooo schön einfach!
2 Brautwerbung am Königshof oder Sonnige Aussichten für Wislaw
3 Der Weg in die Zukunft oder Unter der Last der Vergangenheit
4 Entscheidung auf dem Rugard oder Der falsche Alexander
5 Dem Tod entronnen oder Schicksalsschlag in Riga
6 Minnesang und Ritterspiel oder Die Hochzeit von Rujana
7 Im siebten Himmel oder Oh, liebliche Minne!

Der freche Greif
oder

Ohne Witzlaw wäre alles sooo schön einfach!

„He, he, Wislaw, was soll das?!” Aufgeregt flügelschlagend und bedrohlich nah über dem Kopf des so Angesprochenen kreist ein seltsames Etwas, das wie ein Adler aussieht. Aber ist das wirklich ein Adler, dieses Wesen mit vier Beinen und zwei Flügeln?
„Du siehst doch, dass Sambor und ich Bogenschießen üben. Da musst du doch nicht gerade hier herumfliegen.” „Wislaw kann nicht Bogenschießen und trifft immer nur daneben, ha, ha, ha! Ich könnte das viel besser!” Das Tier hat sich inzwischen auf einem Mauersims niedergelassen und hüpft abwechselnd auf beiden Adlerkrallen und beiden Löwenpranken vergnügt hin und her. Nun wissen wir, was es ist: Es ist ein Greif. „Wislaw kann’s nicht, aber Witzlaw kann’s, ha, ha, ha!” „Dann zeig’ uns mal, was du drauf hast, du vorlauter Schnabel!” Und schwupp ist der Greif Witzlaw auch schon auf und davon, geradewegs in die Krone eines Birnbaums, der gut und gerne schon dreihundertfünfzig Jahre erlebt haben dürfte und direkt neben dem mit Palisaden geschützten Wehrgang jener Burg steht, in der die Fürstenfamilie von Rügen seit kurzer Zeit wohnt.
„He, du da oben! Jetzt habe ich aber die Nase voll, du vermaledeites Federvieh!” hört man plötzlich den Wächter Bertram schimpfen. „Die Nase voll. Ha, ha, ha, das stimmt sogar! Bertram, Bertram, langsam solltest du wissen, dass ich kein Federvieh bin. Naja, zumindest kein gewöhnliches. ICH bin ein Adler und ein LÖWE!” „Du und ein Löwe? Dass ich nicht lache!” Beinah hätte den armen Wächter noch ein Flatsch getroffen.
Inzwischen ist auch Wislaw, einer der beiden Söhne des Fürsten, am Ort des Malheurs angekommen. Bertram zeigt auf den Nasenschutz seines Helms: „Seht, lieber junger Herr, was dieser dumme Vogel wieder angestellt hat.” „Dummer Vogel, dummer Vogel, selber dummer Vogel!”, schallt es von oben. „Das geht nun schon die ganze Zeit so.” „Bertram, lasst Euch von Meister Kowalek aus Kowal einen Eisenhut fertigen, so wie sie heutzutage in Mode sind, einen mit extra breiter Krempe. Dann kann Euch dieser Witzlaw nicht mehr schaden. Meister Kowalek ist der beste Schmied weit und breit. Und die Rechnung soll er mir geben.” „Tausend Dank, lieber Herr!”

So vergingen die Tage. Der Wächter hat seinen Eisenhut mit extra breiter Krempe und ist glücklich damit. Der Greif hat keinen Spaß mehr daran, ihn zu ärgern und spielt die beleidigte Leberwurst. Und jetzt kommt auch noch ein Bote aus Dänemark zur Fürstenburg geritten, die von Woche zu Woche schöner wird. Die meisten Bauten im Wall sind aus Holz, auch das Wohnhaus der Fürstenfamilie. Holzhäuser können warm und wohnlich sein, wenn sie richtig gebaut werden. Und das können die Leute aus den zwei Dörfern daneben, die beide Ghartz heißen.
Nicht nur das, auch eine Kirche bauen sie gerade auf einem Hügel neben den beiden Siedlungen. Aus Stein! So verwundert es nicht, dass sich der Fürst auch eine Kapelle zu Ehren der Jungfrau Maria aus Backsteinen von den begabten Handwerkern in seiner Burg errichten lässt.
Der Fürstenfamilie und allen anderen Burgbewohnern gefällt’s. Nur einem nicht. Der kommt gerade im Sturzflug aus seinem Nest im Birnbaum auf den Sims, auf dem er immer zu landen pflegt. Direkt neben Wislaw, der dort auf einer Bank sitzt und irgendetwas mit einem Griffel auf ein Wachstäfelchen kratzt. „Was machst du da?”, und hackt mit seinem Schnabel in die Wachsfläche. „He, lass’ das!” „Ihr lasst mich doch auch nicht in Ruhe. Wie schön ruhig war es hier die ganzen Jahre. Jetzt wühlt ihr alles um.” „Ei, sag’ bloß, dass dir die alten Bruchbuden gefallen haben? Und dass hier nichts los war?” „Nichts los, nichts los. Wenn ich was erleben wollte, bin ich zu den Dörfern geflogen und habe den Menschen zugesehen und über sie gelacht.” „Das sieht dir wieder ähnlich! Und so etwas habe ich auch noch zu meinem Wappentier gewählt, da hätte ich genauso einen Papageien oder einen Affen nehmen können.” „Papagei! Affe! ICH bin das edelste Tier! ICH bin Adler und Löwe zugleich! Und jetzt zeig’ mal her, dein Wappen!”
In der Hoffnung, so Witzlaw zufrieden zu stellen und loszuwerden, holt Wislaw seinen Schild, der auf goldenem Grund einen schwarzen Greifen zeigt, mit stolzgeschwellter Brust, prächtigen Flügeln und wehrhaft gereckten Fängen und Pranken. „Das soll ich sein? Ha, ha, ha!” Dabei führt Witzlaw wieder seinen Greifentanz auf: „Wislaw kann nicht malen, Wislaw kann nicht malen! Ha, ha, ha!”
Endlich erhebt er sich in die Lüfte. Wislaw atmet auf, nimmt seine Wachstafel, drückt das Loch darauf wieder zu und versucht sich zu konzentrieren.

„Ich erwähle dich aus allen Frauen,
und seh’ dich lieblich vor meinen Augen.

Das ist schon mal gut! Aber was reimt sich auf Frauen? Trauen!

Ich erwähle dich aus allen Frauen,
und seh’ dich lieblich vor meinen Augen.
Herzliebste, nur dich möcht’ ich trauen!

Das ist es!” „Nein, das ist es nicht, lieber junger Herr!” Wislaw schaut sich erschrocken um. Die entschiedene und zugleich einfühlsame Stimme gehört Botilde, die einst seine und seiner Geschwister Amme gewesen ist. Sie stammt aus Dänemark, dessen König auch der Lehnsherr der Rügenfürsten ist. „Wenn Ihr der Prinzessin Margarete gefallen wollt, dann dürft Ihr nicht so fordernd auftreten.” „Fordernd?” „Ja, Ihr stellt mit diesen Worten nur Eure eigenen Wünsche dar. Ihr müsst aber versuchen, sie zu loben und zu preisen, sie für Euch gewinnen, ohne Euch dabei zu erniedrigen.” „Wie soll ich so etwas schaffen? Minnesang ist ja noch viel schwerer, als Magister Ungelarte immer sagt.” „Ihr schafft das schon, Herr Wislaw. Nehmt doch einfach ’trauen’ in einer anderen Bedeutung.” „Ihr seid eine gute Seele, Botilde!

Ich erwähle dich aus allen Frauen,
und seh’ dich lieblich vor meinen Augen.
Herzliebste, nur dir möcht’ ich trauen!

Nein, nein, nein.

Ich erwähle dich aus allen Frauen,
und seh’ dich lieblich vor meinen Augen.
Herzliebste, nur zu dir hab’ ich Vertrauen!

Auch nicht.” Botilde sieht, dass Wislaw keine Lust mehr hat: „Schlaft eine Nacht darüber. Dann sieht die Welt schon wieder ganz anders aus.”
Nun wissen wir auch, welche Nachricht der Bote gestern auf die Ghartzer Burg brachte.
Wislaw will gerade seine Sachen zusammenpacken, da saust auch schon ein Bekannter über beider Köpfe hinweg, zielt auf Wislaws schön mit einem Drachenköpfchen verzierten Schreibgriffel, schnappt sich ihn mit seinen Adlerkrallen, startet mit kräftigen Flügelschlägen durch und reißt dabei Botilde das Schleiertuch vom Kopf. Zwei völlig verdutzte Menschen hören nur noch ein altbekanntes Ha-ha-ha von ganz oben.
„Ich rupfe dir alle Federn einzeln aus!”, drohend reckt Wislaw eine Faust gen Himmel: „Der Griffel ist ein Geschenk vom Magister, als ich das erste Mal eine sehnende Weise singen konnte. Ich könnte heulen.” „Kopf hoch, junger Herr!” „W-was? Ach so, ja. Hier, Euer Tuch.” Wislaw hatte es im Unterbewusstsein aufgefangen. „Danke! Den Griffel bekommt Ihr sicher wieder, irgendwann.”
Wislaw will sich nur noch hinlegen und nichts mehr sehen und hören von der Welt. Zum Abendmahl hatte er kaum etwas gegessen. Da sich alle an der Tafel, seine Familie wie die Bediensteten, Sorgen machen, berichtet nun Botilde über das Vorgefallene.

Witzlaw stibitzt Wislaw den Schreibgriffel

Am nächsten Morgen trifft Botilde Wislaw, der immer noch ein mürrisches Gesicht zeigt. „Dobrë jutro, Herr Wislaw! Na, geht es Euch wieder besser?” Sie legt ihm dabei den Arm auf die Schulter. „Ich wünsche Euch auch einen Guten Morgen.” Wislaw versucht zu lächeln. „Naja, es geht schon. Und danke, dass Ihr Euch so um mich sorgt. Dann muss ich eben den alten Griffel wieder nehmen.“ „Müsst Ihr nicht! Bertram hat eine Idee, wie wir den Witzlaw überlisten können. Kommt mit, wir treffen uns am Brunnen.“, fügt sie verschwörerisch hinzu.
Gesagt, getan. Der Brunnen befindet sich an der Mitte des Wegs, der vom Tor kommend leicht ansteigt und im Halbkreis zu den Wohngebäuden im Süden der Burg führt. Beim Brunnen zweigt auch noch ein Trampelpfad zu den Stallungen und Tränken am nördlichen Hügel mit seiner großen Pferde- und Schafweide ab. Alle drei stecken ihre Köpfe zusammen. Was sie tuscheln, können wir aber nicht hören. Dann sind Wislaw und Bertram verschwunden.
Wenig später schleicht der Prinz zum Wehrgang, bekleidet mit einem eng anliegenden Rock. Er hat sich eine Kapuze über den Kopf gezogen und über seinen Schultern hängt ein zusammengerolltes Seil.
Wislaw hat gerade den Palisadenzaun erreicht, als Botilde plötzlich aus Leibeskräften schreit: „Bertram, Bertram, hilf mir! Im Brunnen ist etwas! Ein Unwesen!“ Der Gerufene kommt auch sofort zu ihr gerannt. Und – wie erhofft – ist auch noch jemand anderes aufmerksam geworden, kommt nach unten geglitten und – „Platz da!“ – setzt sich auf den Brunnenrand. „Was für ein grässliches Tier!“, ruft Botilde aus, als sie Witzlaws Ebenbild im Wasser sieht. „Wer hat hier ’grässliches Tier’ gesagt? Das bin ICH!“ „Ach, das bist du? Aber da ist noch etwas drin.“ „Ich sehe nur mich... und ich sehe auch, dass Bertram seinen dummen Eisenhut gar nicht auf hat. Ha, ha, ha!“
Inzwischen ist Wislaw am Birnbaum angelangt und klettert die Leiter hinauf, die wie verabredet der Wächter an den Stamm gelehnt hatte. Sobald er einen dicken Ast greifen kann, schwingt sich der Prinz in die Laubkrone. Dann bindet er das Seil, das am anderen Ende um seine Hüfte gegürtet ist, am Stamm fest. So klettert er weiter, bis der Greifenhorst fast erreicht ist.
„Was für eine herrliches Fleckchen Erde!“, entfährt es Wislaw, als er seinen Blick schweifen lässt, über den See mit dem kleinen Hafen, über das slawische Ghartz mit der Kirchenbaustelle und über das deutsche Ghartz. „Dahinten liegt Kowal und dort Wislaweshagen.“ Auf Letzteres ist er besonders stolz, denn diesen Weiler hat er als mitregierender junger Fürst vor kurzem selbst gegründet und drei Bauernfamilien damit eine neue Heimat und ein Auskommen gegeben. Und dann sieht er die große freie Fläche direkt vor der Burg: „Hier wird bestimmt die neue Stadt gebaut werden.“ Am See daneben schließt sich der Kreisrund.
Wislaw schwenkt seinen Blick über die Burg – und stellt mit Erschrecken fest, dass er ja einen Auftrag hat: Bertram rennt über die Burgwiese, Haken schlagend und immer darauf bedacht, sich so weit wie möglich vom Birnbaum zu entfernen. Botilde wedelt mit ihrem Schleiertuch um sich. Und was treibt Witzlaw? Er versucht Bertram zu folgen.
Gleich hat es Wislaw geschafft. Nur noch ein Stückchen. Jetzt kann er in das Greifennest greifen und hält auch schon das Geschenk des Magisters Ungelarte in der Hand. Jetzt schnell wieder hinunter klettern, das Sicherungsseil lösen und die Leiter hinab.
Das war keinen Moment zu früh, denn schon kommt Witzlaw angesegelt. Mit seinen Adleraugen erspäht er auch schon Wislaw auf dem Wehrgang und sieht im Vorbeiflug, dass der Schreibgriffel im Nest fehlt: „Na warte! Du hast meinen Horst geplündert. Jetzt bekommst du das Gleiche ab, wie Bertram!“ „Wer hier wen bestohlen hat, ist ja wohl klar!“, gibt Wislaw zurück, der dummerweise seine Gugel – denn so heißt diese Kapuze – schon vom Kopf gezogen hat. Das hätte er nicht tun sollen, denn der „Dank“ des Greifen folgt auf der Stelle.
Als Botilde den bekleckerten, aber freudestrahlend den Griffel schwenkenden Prinzen erblickt, ruft sie aus: „Da hat ja unser Plan bestens geklappt! Jetzt könnt Ihr wieder mit Freude dichten. Aber vorher geht es ab in den Zuber, denn ich muss euch beiden erst einmal die Haare waschen.“

Frisch gewaschen und neu eingekleidet zieht es Wislaw auf seine „Dichterbank“: „Wo war ich stehen geblieben? Ach so: Was reimt sich auf Frauen? Das mit ’trauen’ war alles nicht so gut. Schauen! – Damit muss es etwas werden.“
Zu allem Unglück wartet auch schon jemand auf seinem Lieblingssims: „Wislaw, Wislaw, pass auf deinen Griffel auf, sonst ist er wieder weg!“ „Unterstehe dich! Du hast mir schon genug Zeit geraubt. Ich weiß gar nicht, wie ich das schaffen soll, das Lied für Prinzessin Margarete?“

„Wislaw guckt dumm aus den Augen,
dann wird sein Lied auch nichts taugen.“

„So ein Quatsch! … N-nein! … Danke!“ „Danke?“ „Ich hätte nie gedacht, dass ich dir einmal dankbar sein würde.“ Witzlaw ist der Schnabel offen stehen geblieben und ist nun der, der dumm aus der Wäsche guckt.
Am Abend ist die Hälfte der ersten Strophe endlich geschrieben:

„Ich erwähle dich aus allen Frauen,
und seh’ dich lieblich vor meinen Augen.
Herzliebste, nur dich mag ich schauen,
voll Güte strahlend, wirst zur Liebe taugen.“

In den nächsten Tagen dichtete Wislaw fleißig weiter, bis auch der Abgesang der ersten Strophe fertig war. Doch wie soll er nur die zwei weiteren schaffen, die zu einem guten Minnelied dazu gehören? Die Zeit drängt, denn bis zur Fahrt nach Dänemark ist es nicht mehr lang hin. Den Gesang muss er ja auch noch einüben.
Und dann gibt es noch etwas, was den Prinzen stutzig macht: Wo ist bloß der freche Greif geblieben? Nicht, dass Wislaw etwa darüber traurig wäre. Doch wie es so ist: Denkt man an nichts Schlechtes, kommt auch schon der Unglücksvogel angeflogen. „Dobr djen, lieber Wislaw, wie geht es dir?“ Der liebe Wislaw weiß gar nicht, wie ihm geschieht. „Dobr djen, mein Lieber! Was ist denn auf einmal in dich gefahren?“ „Stubben, Stubben!“, schallt es zurück. Witzlaw landet und hüpft ausgelassen seinen Greifentanz und zeigt dabei aufgeregt mit seinen Flügeln in die Richtung, wo dieses Dorf liegt. Eigentlich sind es ja zwei kleine Dörfer. „Was willst du denn in Stubben?“ „Großes Geheimnis. Wird nicht verraten.“ „Aha, ich verstehe, du hast Kreide gefressen. Dann ist mir alles klar.“ „Wislaw, du verstehst wieder mal gar nichts.“ Husch, schon ist er wieder weg. Dieser Sache will Wislaw unbedingt auf dem Grund gehen, das hat er sich geschworen. Und morgen ist der beste Tag dazu!
Auf dem Rückweg von Wislaweshagen reitet der Prinz diesmal nicht den kürzesten Weg zur Burg zurück, sondern nimmt einen Trampelpfad, der in den Wald vor Stubben führt. Dort gibt es eine Kuhle, in der Kreide gebrochen wird. Sein Vater, dem der Kreidebruch gehört, und die Stubbener, die extra für den Kreideabbau ihre beiden Dörfer in dieser abgelegenen Gegend errichtet hatten, verdienen gerade jetzt gut daran. So viele Handwerker kamen noch nie, um sich ihre Wagen mit der begehrten Kreide füllen zu lassen, denn es wird immer mehr mit Stein gebaut. Erst letzte Woche holten sie eine große Fuhre für die Wände in der Kirche auf dem Hügel und für die Kapelle in der Fürstenburg ab.
In Gedanken an sein Lied für Margarete versunken, merkt Wislaw erst im letzten Moment, dass sein treues Ross ihn bis an den Rand der Grube getragen hat. Er steigt ab und setzt sich auf einen der großen Steine, von denen erzählt wird, dass sie von Riesen hierher geworfen wurden. Wislaw schlägt das eine Bein über das andere, stützt den Ellenbogen darauf und schmiegt eine Wange in die Handfläche. Er kann gar nicht lange in dieser Dichterpose verweilen, denn ein bekanntes Geräusch lässt ihm seinen Blick gen Himmel richten.
So viel hatte er doch gar nicht bei den Bauern in Wislaweshagen getrunken, dass er jetzt den Witzlaw gleich zweimal fliegen sieht? Aber nein, es sind wirklich zwei Greifen, die da hoch oben ihre Kreise ziehen. Es sieht fast aus, als ob sie tanzten.
Witzlaw hatte im Wald von Stubben sein Glück gefunden. Ob er es  in Vordingborg auch findet?
Wislaw nimmt ein Stück Kreide, das vor seinen Füßen liegt, überlegt kurz und probiert etwas aus: Er schreibt auf den grauen Stein: ’Ich wünsche euch alles Glück der Welt! Wislaw’ Es klappt. Erst beim letzten ’w’ bricht die Kreide auseinander. Sie ist einfach zu weich. Aber vielleicht kann man etwas machen, damit sie fester und handlicher wird? Wenn die neue Stadt gebaut ist, wird auch ein Schulmeister herkommen. Und wenn der dann alles an eine Wand schreiben könnte, wie viele Kinder könnten da zugleich lernen! Nicht nur die aus der Stadt, auch die von der Burg und die aus den Dörfern drumherum! Wislaw muss heute unbedingt noch mit dem Magister darüber sprechen. Und er muss heute auch noch etwas ganz, ganz Wichtiges mit Botilde bereden. Seine Gedanken beflügeln ihn geradezu, und so gibt er dem Pferd die Sporen.

Zwei Tage später ist es endlich soweit. Alle stehen sie an der Pier unterhalb der Burg: seine Eltern und Geschwister, die anderen Burgbewohner, alle. Unter guten Wünschen besteigen Wislaw und sein Knappe Satko das Boot, das sie nach Poddemin bringen wird, wo das große Fürstenschiff liegt, mit dem sie nach Dänemark weitersegeln werden.
Als sie schon mitten auf dem Ghartzer See sind und die Menschen am Ufer kaum noch sehen können, ertönt plötzlich eine altbekannte Stimme: „Wislaw, auch wir wünschen dir alles Glück der Welt!“ Witzlaw und Miroslawa, so heißt die Greifin, begleiten das Boot auf seiner Fahrt bis Poddemin.
An der Südspitze des Sees geht es in einen engen Kanal. Durch sieben Schleusen müssen sie sich von den Fluten des Sees und des Loopgrabens tragen lassen, bis beide den Hafen mit dem Schiff erreichen.

Wenn ihr erfahren möchtet, wie Wislaws Schreibgriffel ausgesehen hat, den er von seinem Lehrmeister Magister Ungelarde als Ansporn geschenkt bekommen hatte, und der ihm vom gewitzten Greif Witzlaw gestibitzt wurde, dann schaut auf das Bild „Geweihgriffel mit Tierkopf aus dem Seehandelsplatz Ralswiek” (Gard2_Ralswiek3.jpg), etwa mittig auf dieser Seite. Archäologen fanden dieses frühmittelalterliche Exemplar in Ralswiek. Da es aber so schön aussieht, wurde es später als Muster für weitere solche Griffel genutzt, auch für Wislaws Lieblingsschreibzeug. ;-)

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