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7. Kapitel

Prinzessin Svanvithe und der Schatz im Garzer Burgwall

Vor vielen hundert Jahren, als die Stadt Garz noch Charenza hieß, hat dort ein großes schönes Schloß gestanden und auch ein Tempel, wo die Ranen, die in alter Zeit Rügen bewohnten, ihre Götter anbeteten. Dieses Schloß wurde später von den Christen erobert und der Tempel mit den Standbildern der Slawengötter verbrannt.
Nun ist nichts mehr übrig als der alte Wall über dem See. Aus dem Wasser aber soll man es nachts des öfteren klingen hören, als würden dort unten Glocken geläutet. Denn die Sage erzählt, daß das Heiligtum versunken sei.
Manche erzählen auch von dem alten Mann, der, angetan mit Helm und Panzer, auf einem Schimmel durch die Stadt und über den See reitet. Er hat eine goldene Krone auf seinem Haupt, und man sagt, es sei der König aus dem Schloß, der bei dem Kampf mit den Christen erschlagen wurde.
Damals, als das Garzer Schloß von den Christen angegriffen wurde und die Belagerten in großer Not waren, als schon einige Türme zerstört waren und viele Menschen im Schloß elend verhungern mußten, war in diesem Schloß auch ein alter eisgrauer Mann. Er war der Vater des Königs, der bei dem Kampf mit vielen anderen tapferen Männern den Tod gefunden hatte.
Als keine Aussicht auf Rettung mehr bestand, begab sich der Greis, der nicht mehr recht sehen und hören konnte, in einen großen Saal, der tief unter der Erde aus schönen Marmelsteinen und prächtigen Kristallen gebaut war. Dort wurden unermeßliche Schätze aufbewahrt, Gold und Edelsteine – alles, was vom König und seinen Vorfahren in vielen Jahren zusammengetragen worden war. Der alte Mann kannte keine größere Lust, als in den Haufen von Gold und Diamanten zu wühlen.
Niemand sollte ihn hier finden! Nichts sollte den Feinden in die Hände fallen von dem, was seine Vorväter auf ruhmreichen Feldzügen erbeutet hatten!
So begann der Alte, den Zugang zu dem Saal zu vermauern. Nur einen schmalen unterirdischen Gang ließ er offen, der viele hundert Stufen tiefer als das Schloß lag und jenseits des Sees ins Freie führte. Er allein kannte diesen Gang, und so konnte er dort hinaus, um sich bei den Menschen Speise und Trank zu kaufen.
Als Schloß und Tempel zerstört waren und kein Stein mehr auf dem anderen lag, wurde der Eingang zu der Goldkammer völlig verschüttet. Niemand wußte mehr, wo der alte König seine Schätze aufbewahrt hatte, denn alle Männer und Frauen, die sich im Schloß lange Zeit tapfer zur Wehr gesetzt hatten, waren getötet worden.
Der alte eisgraue Mann aber saß unten und hielt den verborgenen Gang offen – noch viele hundert Jahre soll er gelebt haben. Man sagt, daß die Menschen, die ihr Herz zu sehr an Gold und irdische Schätze hängen, nicht sterben können, mögen sie den Tod auch noch so sehr herbeisehnen.
So lebte der Alte noch viele, viele Jahre und mußte seine Schätze bewachen, bis er ganz dürr und trocken war wie ein Totengerippe. Da ist er denn endlich gestorben. Aber er hat noch immer keine Ruhe gefunden, sondern ist zur Strafe für seine Habgier verwandelt worden und muß weiterhin als schwarzer magerer Hund bei den Goldhaufen liegen und sie bewachen.
Des Nachts aber, zwischen zwölf und eins, muß er auch jetzt noch umhergehen als ein altes graues Männlein, mit einer schwarzen Pudelmütze auf dem Kopf und einem weißen Stock in der Hand. Oft haben ihn die Leute so gesehen, im Garzer Holz am Wege nach Poseritz. Er geht auch zuweilen bei dem Kirchhof um, denn dort sollen viele Ranengräber sein, und die Ranen haben immer viel Gold und Silber mit in die Erde genommen. Das will er holen, kann es aber nicht bekommen, weil er die Kirchhofserde nicht betreten darf. Doch zieht es ihn immer wieder dorthin.
Aber nicht für alle Zeiten liegt der Schatz drunten im Schloßwall. Eine reine Jungfrau aus einem alten Königsgeschlecht kann den Schatz heben. Sie muß den Mut haben, in der Johannisnacht einsam und unbekleidet diesen Wall zu ersteigen und darauf rückwärts so lange hin und her zu gehen, bis es ihr gelingt, gerade die Stelle zu betreten, wo die Treppe verschüttet ist, die zu der Schatzkammer hinabführt. Sobald sie ihren Fuß auf diese Stelle setzt, wird die Jungfrau sanft hinuntersinken, sich plötzlich von Schätzen umgeben sehen und sich davon aussuchen können, was sie will. Bei Sonnenaufgang wird sie diese Stätte dann wieder verlassen müssen. Was sie nicht tragen kann, wird der alte Geist, der den Schatz bewacht, ihr nachtragen.

Viele Jahre waren seit der Eroberung und Zerstörung des Ranenschlosses vergangen. Die Fürsten von Rügen hatten nunmehr in Bergen ihren Wohnsitz. Inzwischen hatten sie auch das Christentum, den Glauben der Eroberer ihres Landes, angenommen. Einer der Herrscher hatte eine wunderschöne Tochter mit Namen Svanvithe. Sie war die schönste Prinzessin weit und breit, und es kamen Freier aus vielen Ländern, die um sie warben. Und so viele Freier waren es, daß man kaum Platz hatte, sie unterzubringen, denn sie kamen mit Wagen und Pferden und brachten ihre Gefolgsleute mit.
Der König wäre froh gewesen, wenn die Prinzessin ihre Wahl unter ihnen getroffen hätte, doch sie blieb allein in ihrer Kammer und sagte auf alle Fragen, die an sie gerichtet wurden, kein Wort.
Da endlich begegnete ihr ein feiner und stattlicher Mann, Prinz Peter von Dänemarken, der ihr wohlgefiel und den sie gern zum Gemahl haben wollte. Sie schenkten einander die Ringe, und es war große Freude im ganzen Lande, als die Kunde laut wurde, daß die schöne Svanvithe Hochzeit halten sollte.
Alle Schneider und Schuster hatten zu tun, denn viele kostbare Kleider und Schuhe waren bestellt worden; sie sollten bei der Hochzeit getragen werden und mußten rechtzeitig fertig werden.
Da nun alles voll Zuversicht und Glück war – nur noch wenige Tage, und das Hochzeitsfest war da, die ganze Insel Rügen grünte und hatte ihr schönstes Blütenkleid angelegt -, sah der Böse seinen Augenblick gekommen und begann Unheil zu säen.
An des Königs Hof war unter den vielen Prinzen, die als Freiersleute gekommen waren, ein hinterlistiger und schlechter Mensch, der aber schön von Gestalt war. Dieser hatte schon manches Jahr um die schöne Svanvithe geworben, doch sie hatte immer nein gesagt, denn sie spürte eine starke Abneigung gegen ihn.
Als dieser Prinz nun sah, daß es wirklich eine Hochzeit werden sollte und Peter von Dänemarken zum Treuliebsten der schönen Svanvithe erkoren war, sann er, enttäuscht und ergrimmt zugleich, auf Rache. Und so erzählte er dem König und allen Leuten am Hofe, Svanvithe sei keine züchtige Prinzessin und habe schon manche Nacht bei ihm zugebracht.
Herr Peter von Dänemarken glaubte auch alles, was ihm erzählt wurde, und reiste kurzerhand ab. Als der Verleumder seinen Zweck erreicht sah, verließ auch er die Fürstenburg, und schließlich bereiteten alle anderen Prinzen und Hochzeitsgäste ebenfalls ihre Heimreise vor. Bald lag die Stadt Bergen wieder einsam da, nachdem auch die Pfeifer und Saitenspieler, die sich für das Hochzeitsfest gerüstet hatten, fortgezogen waren und mit ihnen alle Freude und Fröhlichkeit.
Die Schande der armen Prinzessin verbreitete sich im ganzen Land, und auch in Dänemark wurde erzählt, weshalb sich die Hochzeit zerschlagen hatte.
In Wahrheit war Svanvithe rein und unschuldig wie ein Kind. Ihr Vater, der König, war nach diesem Geschehen wie von Sinnen, und er hätte sich fast ein Leid angetan wegen seiner Tochter und der Schande, die sie – wie er glaubte – über das ganze Königshaus gebracht hatte.
Als er sich wieder besann und seine Lage bedachte, in die er durch seine Tochter geraten war, da ergrimmte er in seinem Herzen. Er ließ Svanvithe holen. Und als sie in ihrer Schönheit vor ihm stand, wurde er noch zorniger, schlug sie, zerraufte ihr Haar und stieß sie voll Verachtung von sich. Dann befahl er den Dienern, seine Tochter in ein verborgenes Gemach zu führen, denn sie sollte ihm nie wieder unter die Augen kommen.
Schließlich ließ der König in einem von dicken Mauern eingeschlossenen und durch dunkle Bäume beschatteten Garten einen düsteren Turm bauen, in den weder Sonne noch Mond hineinschienen. In das finstere Verlies dieses Turmes ließ er die Prinzessin bringen, und sie mußte dort auf harter Erde liegen, denn weder Bett noch Tisch oder Bank befanden sich in dem traurigen Gefängnis. Durch ein Loch in der Tür wurden ihr die Speisen gereicht.
Svanvithe hätte sterben mögen vor Jammer, hätte sie nicht gewußt, daß sie unschuldig war. Sie war noch sehr jung, als ihr diese Schmach angetan wurde, gerade sechzehn Jahre alt, und schön wie eine Rose war sie und weiß wie eine Lilie. Die Menschen, die sie liebhatten, nannten sie nicht anders als des Königs Lilienstängelein. Und dieses süße Kind sollte so jämmerlich verwelken in der einsamen Finsternis!

Die Prinzessin lebte wohl drei Jahre so in dem kalten Steinverlies. Auch der alte König war nicht mehr froh seit jenem Tag der Schande. Vor Gram war sein Haar schneeweiß geworden, doch vor den Leuten trug er eine stolze und ungebeugte Haltung zur Schau und ging hochaufgerichtet einher; er tat, als sei seine Tochter tot und begraben.
Sie aber saß in ihrem Elend und tröstete sich nur mit dem Gedanken, daß ihre Unschuld doch einmal an den Tag kommen müsse. In ihrer Einsamkeit hatte sie viel Zeit, hin und her zu denken, und so kam ihr eines Tages die Sage von dem Königsschatz unter dem Garzer Wall in den Sinn, die sie in ihrer Kindheit oft gehört hatte. Nur eine reine Jungfrau aus altem Königsgeschlecht könne den Schatz erlangen...
Nun war ihr Entschluß gefaßt. Allen Menschen und vor allem ihrem Vater wollte sie nunmehr den Beweis ihrer Unschuld geben!
Als der Wächter kam und ihr die Speise durch das Loch reichte, sprach sie zu ihm: „Lieber Mann, gehet gleich zum König, meinem und eurem Herrn, und saget ihm, daß seine Tochter ihn noch ein einziges Mal in ihrem Leben zu sehen und zu sprechen wünsche, und er möchte ihr diese letzte Gunst nicht versagen.“
Der Wächter war von Svanvithes Flehen aufs tiefste ergriffen. Er lief, so schnell er konnte, und hoffte, der alte König werde ihre Bitte erhören. Wie ihn, den Wächter, so rührte Svanvithes trauriges Los viele Menschen, denn gegen jedermann war sie immer freundlich und gut gewesen. Viele hatten von Anfang an geglaubt, daß sie fälschlich beschuldigt sei und der enttäuschte Freier sie arg verleumdet habe. Doch gegen die Aussagen des Prinzen waren sie machtlos gewesen.
Der Wächter trat vor den König hin und brachte ihm die Bitte der Prinzessin vor. Da ward der alte Herr sehr zornig, er schalt seinen Bediensteten und drohte, ihn selbst in den Turm werfen zu lassen, sollte er den Namen der Prinzessin jemals wieder vor ihm aussprechen. Der erschrockene Wächter ging traurig fort.
In der folgenden Nacht hatte der König einen sonderbaren Traum, und als er früh erwachte, war er sehr unruhig. Er befragte seine Ratgeber, aber niemand wußte den Traum zu deuten. Gerade jetzt mußte der König immer wieder an seine Tochter denken, und nachdem er die Gedanken einige Male unwillig von sich geschoben hatte, befahl er schließlich doch, sie zu holen.
Bleich und abgemagert war Svanvithe, als sie vor den König trat, und ihre Kleider und Schuhe waren zerrissen. Sie sah der Tochter eines Bettlers ähnlicher als einer Königstochter.
Bei ihrem Anblick wurde der alte König weiß wie der Kalk an der Wand, aber er ließ sich nichts anmerken und seine Miene blieb undurchdringlich.
Svanvithe verneigte sich und begann zu sprechen. Sie beschwor den König bei dem Andenken ihrer Mutter, daß er ihr den Beweis für ihre Unschuld gestatten solle. „Ihr wißt“, sprach sie, „es geht die Sage, unter dem alten Schloßwall zu Garz, wo unsere Vorfahren gewohnt haben, liege ein großer Schatz vergraben, den nur eine reine Jungfrau bekommen kann. Diesen Schatz will ich Euch bringen. Ich bin ja doch einer Toten gleich, und ob ich hier oder tief unter dem Wall begraben bin, kann Euch einerlei sein.“
Sie wollte noch weiter sprechen, aber sie konnte nur noch schluchzen und weinen. Der König winkte dem Wächter, und alsbald kamen Dienerinnen und trugen Svanvithe in ein Gemach, wo man ihr Speise und Trank reichte. Dann wurde ihr ein Bad bereitet, und man brachte ihr Kleider. Der König sandte ihr die Botschaft, daß er ihre mitternächtliche Fahrt erlaube.
Obwohl Svanvithe auch jetzt ganz einsam war, denn Dienern und Dienerinnen blieb das Sprechen mit ihr weiterhin verboten, erholte sie sich, und ihre Schönheit begann wieder aufzublühen.

Als vierzig Tage vergangen waren und der Tag vor Johannis herangekommen war, begab sich Svanvithe in das Gemach des Königs und sagte ihm Lebewohl. Der König neigte seinen weißen Kopf, als er sie sah, und weinte. Sie sank vor ihm hin und umfaßte seine Knie. Dann ging sie hinaus und verkleidete sich, um unterwegs nicht erkannt zu werden.
Der Weg von Bergen nach Garz war nicht weit. Als es vom Garzer Kirchturm Mitternacht schlug, betrat Svanvithe den in völliger Einsamkeit daliegenden Wall, legte ihre Kleider ab und nahm eine Johannisrute in die Hand. Dann tappte sie stumm rücklings auf dem Wall entlang, gerade so, wie es geschehen mußte.
Sie war noch nicht lange so dahingeschritten, da tat sich plötzlich die Erde unter ihren Füßen auf, und sie glitt sanft hinunter. Sie fiel hinab in ein großes, hell erleuchtetes Gemach, dessen Wände vor Marmor und Spiegeln blitzten und auf dessen Boden ganze Haufen Gold, Silber und Edelsteine hingeschüttet waren.
Svanvithe war fast geblendet von all dem Glanz. Das waren also die Schätze und Kostbarkeiten ihrer Ahnherren aus vergangenen Jahrhunderten!
In der hintersten Ecke gewahrte sie nun auch das kleine graue Männlein. Es saß in einem Lehnstuhl und nickte ihr freundlich zu, als wolle es die Urenkelin begrüßen und mit ihr sprechen. Aber Svanvithe gedachte der Bedingungen, die zu erfüllen waren, um in den Besitz des Schatzes zu gelangen, und so kam kein Wort über ihre Lippen. Sie nickte dem Männlein nur grüßend zu.
Da – der Geist verschwand, und es kam eine lange Reihe prächtig gekleideter Männer und Frauen in alten schönen Gewändern, die sich in stummer Ehrfurcht vor ihr verneigten und sich dann hinter sie stellten, als erwarteten sie den Befehl ihrer Herrin.
Svanvithe bedachte, wie kurz die Mittsommernacht ist, und säumte nicht lange. Schnell nahm sie einige Hände voll Gold und Edelsteine auf und winkte den Männern und Frauen, ein Gleiches zu tun, und auch diese füllten die Taschen ihrer Kleider. Kostbare Geschirre tragend, schritten sie auf einen erneuten Wink ihrer Gebieterin in langer Reihe der Treppe zu. Svanvithe führte den Zug hinauf.
Schon hatten sie viele Stufen hinter sich, und Svanvithe sah bereits in der Ferne das dämmernde Morgenlicht, sie hörte die Vögel singen und den Hahnenschrei, der den anbrechenden Tag verkündete, - da war ihr bange, ob die Männer und Frauen mit den Schätzen auch nachkämen, und so vergaß sie für eine ganz kurze Zeitspanne, was zur Erfüllung der Bedingungen notwendig war: sie blickte sich um.
Und damit wurde alles zunichte. Svanvithe sah weit hinter sich den kleinen grauen Mann, der sich im Augenblick ihres Umwendens blitzschnell in einen großen schwarzen Hund verwandelte und auch sofort heran war. Mit feurigem Rachen und funkelnden Augen sprang das fürchterliche Tier an ihr hinauf.
Svanvithe war zu Tode erschrocken und stieß einen lauten Schrei aus. Sogleich schlug die Tür über ihr mit lautem Knall zu, die lange Treppe versank und alle Menschen darauf mit ihr.
Mit Ungeduld wartete der alte König auf die Rückkehr seiner Tochter, um endlich Gewißheit über ihre Unschuld zu erhalten. Als Svanvithe nicht kam, grämte er sich über alle Maßen, denn er glaubte, sie sei entweder bei dem Hinabsteigen in die unterirdische Goldkammer durch die Tücke böser Geister umgekommen oder habe ihr Vorhaben schließlich doch nicht ausgeführt und laufe nun arm und verlassen durch die Welt.
So gingen dem alten König immer wieder quälende Gedanken durch den Kopf, bis er am Ende darüber ganz und gar irre wurde und langsam dahinsiechte. Nur noch wenige Wochen nach dem Verschwinden seiner Tochter waren ihm vergönnt, dann schloß er die Augen für immer.
So kam es, daß er nie erfahren hat, welches Unglück seiner Tochter widerfahren war, weil sie sich umgesehen und dann laut geschrien hatte. Wenn es so weit ist, hat man über die Unterirdischen keine Gewalt mehr, und die Leute können viele Beispiele von unglücklichen Schatzsuchern erzählen, die sich umgeblickt und dann einen Laut von sich gegeben haben und die man nie wieder gesehen hat.

Viele Jahre waren vergangen, alle Menschen waren gestorben, die zur Zeit des alten Königs und der schönen Svanvithe gelebt hatten. Da hörte man hin und wieder, die Prinzessin lebe noch, sie sitze unter dem Garzer Wall und müsse nun mit dem alten grauen Männlein die Schätze bewachen.
Kein Mensch wußte zu sagen, wie das oben bekanntgeworden war. Vielleicht hatte der kleine graue Mann, der manchmal umherging, es jemandem verraten. Es wurde viel erzählt von dem seltsamen Versinken der Prinzessin und daß sie in der Kammer sitze und auf Erlösung warte. Sie könne aber nur erlöst werden, wenn es einer auf dieselbe Weise wage, wie sie es einst in der Johannisnacht getan habe; er müsse also in die Schatzkammer hinabfallen. Dieser Mutige müsse sich dann vor ihr verneigen, ihr einen Kuß geben, sie dann still hinausführen und kein Wort dabei sprechen. Gelänge das, so werde er mit ihr in Freuden und in Herrlichkeit leben, und das kleine graue Männlein werde ihnen die Schätze zutragen.
Nun hat es wohl genug starke und mutige junge Burschen gegeben, die das unternommen haben und mit der Johannisrute in der Hand zu ihr hinabgekommen sind, aber sie haben es immer irgendwie versehen, und so ist Svanvithe bis auf den heutigen Tag noch nicht erlöst. Ja, wenn es so leicht wäre, wie viele würden Lust verspüren, die schöne Prinzessin zu freien! Der greuliche schwarze Hund soll an allem schuld sein; keiner kann ihn ansehen, ohne aufzuschreien, und dann geht es blitzschnell: die Tür schlägt zu, die Treppe versinkt, und alles ist wieder vorbei.
Man kann von alten Leuten erfahren, daß vor mehr als hundert Jahren der letzte in der Tiefe versunken sein soll. Joachim Fritz sei es gewesen, ein junger Schuhmachergeselle, der gern auf dem Garzer Schloßwall spazierenging. Da war er eines Tages plötzlich verschwunden. Überall ließen ihn seine Eltern und Freunde suchen, doch wurde er nie gefunden.
So muß nun die arme Svanvithe in ihrer Unschuld tief unten sitzen und das Gold hüten. Sie sitzt da, über das Gold geneigt, ihr langes, schönes Haar hängt über die Schultern herab, und sie weint unaufhörlich. Schon sind sechs junge Gesellen bei ihr, die auch den Schatz hüten müssen – es sind die Schatzsucher, denen die Erlösung nicht gelang. Kommt aber einmal der Richtige und gelingt ihm die Erlösung, so wird er Svanvithe und die anderen Gefangenen befreien, und der Freude wird kein Ende sein.

Dieses Märchen ist aus dem Buch: Albert Burkhardt, “Sagen und Märchen der Insel Rügen”, Altberliner Verlag, München - Leipzig
Erstausgabe von 1957: S. 22 - 34, überarbeitete Ausgabe von 1994: S. 132 - 142
Für die freundliche Genehmigung zur Veröffentlichung dieser Sage möchte ich mich bei Frau Koschkar vom Altberliner Verlag (
www.altberliner.de) bedanken.
 

Originalzitat aus der Erstausgabe, deshalb alte Rechtschreibung

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